Ihr Manfred Kotters

Geschmacksache

Dass die Geschmäcker verschieden sind, wissen wir. Was für die einen Hochgenuss ist, bezeichnen die anderen als ungenießbar. Ich denke da an Wein, Käse oder vergammelten Fisch in Dosen. Ob die Gründe dafür in der Kindheit, an jahrelanger Gewöhnung oder unterschiedlicher Ausstattung der Zunge mit Geschmacksknospen liegen, ist mir nicht bekannt – aber auch egal. Wichtig ist nur, dass man offen ist für Neues (den vergammelten Fisch lasse ich allerdings mal außen vor; ihre Spezialität „Surströmming“ dürfen die Schweden gerne alleine genießen). Man muss ja auch nicht durch die ganze Welt reisen, um unterschiedliche Geschmacksrichtungen von dem gleichen Gericht kennenzulernen. Schon die Bolognese Sauce der Nachbarin kann völlig anders schmecken als die eigene; hier sind‘s die Gewürze, die die Richtung bestimmen. Beim Gemüse ist es oftmals die Zubereitung. Während wir hier im Rheinland bei den Möhren, den Pastinaken, dem Endiviensalat oder dem Grünkohl das „Untereinander“ kennen, also das Vermengen von Kartoffeln und dem jeweiligen Gemüse schon vor dem Servieren, lehnen das andere Regionen als „Sünde“ ab und plädieren für das getrennte Zubereiten. Sei’s drum – Hauptsache es schmeckt.

Neues ausprobieren ist natürlich auch erlaubt. So hat unser kochbegeisterter und neugieriger Sohn (sein Motto: „gute Zutaten ergeben immer ein gutes Gericht“) einmal als neue Kreation Grünkohl mit Nudeln kombiniert. Diese Zusammenstellung hatte er (notgedrungen) gewählt, da keine Kartoffeln mehr im Haus waren. Nach dem Essen konnte ich mir nicht verkneifen, sein Motto leicht zu verändern: „Gute Zutaten ergeben nicht immer ein gutes Gericht.“ Er kommentierte mein Urteil nur mit einem wissenden Lächeln – seitdem haben die Nudeln bei uns allerdings keinen Grünkohl mehr gesehen.

Geschmäcker ändern sich aber auch – zumal, wenn die Jahre ins Land gehen. Was man als Kind angewidert ablehnte (Stichwort Rosenkohl oder die Haut auf dem Pudding), erfreut sich nach abgelegter Jugend erstaunlicherweise oft als akzeptabel, wenn nicht sogar als Lieblingsspeise. Oder auch umgekehrt.

Als ich das vor einiger Zeit wieder probierte (im Gegensatz zu meiner Jugendzeit findet man solch ein Feld heute recht selten) dachte ich mir nur: „Was – das habe ich früher gerne gegessen!?“ Ob es nun an meinen Geschmacksorganen oder an der Sorte der angebauten Stoppelrüben gelegen hat, weiß ich natürlich nicht, aber die angenehme Ess-Erinnerung meiner Kindheit werde ich mir nicht durch einen erneuten Feldversuch zerstören.

Es gibt aber auch noch ein anderes Phänomen, das sogar altersunabhängig ist: die unterschiedliche Verwendung in der Küche. Bei mir betraf es den Mangold. In vielen Beschreibungen wird er mit dem Spinat verglichen – und deshalb auch so zubereitet. Der Geschmack weicht (zumindest für mich) aber erheblich von dem des Spinats ab. Wir kennen das vom weißen und grünen Spargel: Auch das sind geschmacklich eigene Welten. Da die Geschmacksrichtung „Mangold“ nicht so meine ist, habe ich ihn (Gourmets mögen mir bitte verzeihen) zwar im Garten angebaut, aber zu 100% an die Hühner verfüttert. Doch dann begab sich eine Veränderung: Bei diversen Gartengesprächen kamen wir zufällig auf das Thema Mangold und meine diesbezügliche Antipathie zu sprechen.

 

Sogleich wurden die Augenbrauen der Gesprächsteilnehmer erstaunt hochgezogen und ich hörte: „Hast du das schon mal mit Käse überbacken als Auflauf oder als Mangoldroulade (wie Kohlroulade) versucht?“ Das war tatsächlich ein Wendepunkt in meinem kulinarischen Leben: so zubereitet und nicht als „Spinatersatz“ habe ich mich mit diesem Gemüse langsam angefreundet (die Hühner mögen mir bitte verzeihen). Praktisch ist ja auch, dass man den Sommer über die äußeren Blätter ernten kann, während die Pflanze immer neue, frische wachsen lässt. Mangold schmeckt mir sogar nicht nur mit der normalen grünen Sorte „Lukullus“, sondern ebenfalls mit der farbenprächtigen Sorte „Bright Lights“, die mit den roten, gelben oder orangen Stängeln sowohl den Speisetisch, als auch ein Blumenbeet farbenfroh aufhübschen kann.

Ein Aspekt bei den verschiedenen Geschmacksrichtungen löst bei mir allerdings ein wenig Magengrummeln aus: die Veränderung der Zutaten durch die Herstellung von Konserven oder Fertiggerichten. Während wir Hobbygärtner und Gärtnerinnen von der Süße der Zuckererbsen schwärmen, kann es passieren, dass konservengewohnte Gäste dieses im Garten angebaute Gemüse als geschmacklos bezeichnen, da sie Erbsen nur als überzuckerte Beilage kennengelernt haben und den ursprünglichen Geschmack nie auf ihrer Zunge hatten. Sie lehnen den naturgegebenen Rundweg ab und empfinden nur den künstlichen Geschmack als den echten, da sie oftmals mit „Gläschen“ groß geworden sind und in der heutigen schnelllebigen Zeit rasch zuzubereitende Fertiggerichte bevorzugen. Das ist schade, weil die Natur sich in ihrer Entwicklung viel Mühe gemacht hat, die unterschiedlichsten Pflanzen mit den für sie typischen Geschmacksrichtungen hervorzubringen (ob sie das tatsächlich für uns Menschen gemacht hat, lassen wir mal offen).

Doch bleiben wir optimistisch: da der Gemüseanbau bei der jetzigen Generation anscheinend wieder recht „hipp“ (nicht zu verwechseln mit dem Babykosthersteller!) zu werden scheint und sich das Geschmacksempfinden zudem im Laufe der Jahre ändern kann, wird vielleicht auch die Begeisterung für den natürlichen Geschmack wieder eine Renaissance erleben.