Da wir auf dem Land leben, einen recht großen Garten haben und den Geschmack von guten Eiern lieben, haben wir Hühner. Unsere Nachbarn haben entweder selbst Hühner oder finden, dass das Krähen vom Hahn zum Landleben dazugehört – also alles unproblematisch. Wobei das Krähen schon so eine Sache ist. Unser letzter Hahn hatte die Marotte, nachts (auch mal gegen zwei Uhr) im Neun-Sekunden-Takt sein lautstarkes Organ erschallen zu lassen. Wenn Besucher bei uns übernachteten, haben wir ihnen direkt die Möglichkeit kundgetan, dass das Schlafen bei geschlossenem Fenster ruhiger verlaufen würde. Der jetzige Hahn hat einige Wochen benötigt, um so zu krähen, wie man es von so einem männlichen Hühnertier gewohnt ist. Anfangs glichen die Laute eher einem Krähversuch, der in Strangulation enden würde. Da unser Nachbar auch einen Hahn hat, der noch erbarmungswürdiger kräht und unser Gockel natürlich zeigen will, dass er der bessere ist, hat er damit einen perfekten Trainingspartner, der ihn zu Höchstleistungen zwingt.
Die Hühner sind ja nicht nur zur Eierproduktion da, sondern helfen uns mit ihrem Allesfresser-Appetit, vieles zu entsorgen, was ansonsten im (Bio-)Müll landen würde. Alle Unkrautpflanzen, die beim Jäten anfallen und entweder Blüten oder Samenansätze haben, kommen nicht auf den Komposthaufen, da die spätere Komposterde zu sehr von deren Samen versetzt wäre und dadurch unnötige Arbeit verursachen würde. Diese sowie Wurzelunkräuter landen im Hühnerauslauf und werden mit Begeisterung angenommen. Auch Essensreste, Material, das beim Gemüseputzen anfällt oder zu alte Gurken- bzw. Zucchinifrüchte haben sie zum Fressen gern. Es ist auch beruhigend, den Hühnern beim Scharren und Gackern zuzuschauen.
Ein Hahn sorgt dafür, dass die Ermittlung der Hackordnung ohne große Kämpfe erfolgt: er ist der Boss – keine weiteren Diskussionen! Er warnt bei Gefahr, die zumeist aus der Luft droht, und veranlasst die Hühner, sich augenblicklich Schutz zu suchen. Wenn ich Essbares in den Hühnerauslauf werfe, ist er der erste, der kommt, die Sache begutachtet und die Hühner anlockt. Praktisch ist ein Hahn zudem, wenn die Hühnerschar ausgetauscht wird. Er macht die Neuankömmlinge mit allen Dingen vertraut: wo sich die Schlafplätze, das Fressen, der Eingang und die Badestellen im Hühnerauslauf befinden und wann es Zeit ist, die Schlafplätze einzunehmen. Kommt mit den Hühnern auch ein neuer Hahn, ist dieses Kennenlernen der Örtlichkeiten um einiges zeitaufwändiger.
Da die Hühner hier auf dem Land nachts leicht die Beute vom Fuchs und Marder werden können, schlafen die Tiere im geschlossenen Stall. Sobald es abends dunkel wird, kommt die Schar nach drinnen und wir schließen die Klappe zur Außenwelt. Eines Tages standen wir vor der ungewöhnlichen Situation, dass zwar sämtliche Hühner auf ihrer Stange saßen, aber der Hahn war nirgends zu sehen. Also: Außenbeleuchtung an, Taschenlampe schnappen und die Suche beginnen. Da wir den Auslauf mit Brennnesseln und Sträucher bewachsen lassen, um die Hühner so vor den Blicken des Habichts zu schützen, war es umständlich, alle Ecken und Winkel kontrolliert zu bekommen. Quadratmeter für Quadratmeter wurde abgesucht, dazu der Garten und der des Nachbarn. Der Hahn blieb verschwunden. Er hatte sich auch nicht oben in den Sträuchern versteckt. Als wir meinten, die Suche erfolglos abzubrechen, entdeckten wir ihn zufällig auf dem Dach unseres Gartenhauses. Dort hatte er sich hingesetzt und uns bei der Suche voller Schadenfreude beobachtet. Innerlich hat er sich vor Lachen sicherlich auf die Hähnchenschenkel geklopft. Jetzt hieß es: sämtliche Lichtquellen ausschalten, damit die Augen des Tieres sich an die Dunkelheit gewöhnen. Dann ihn mit einem starken Lichtstrahl blenden und zulangen. Der Plan gelang, da er in der Nähe der Dachrinne saß. Somit hatten die Hühner ihren Anführer wieder.
Sein nächtlicher Sitzplatz war zwar ungewöhnlich aber vollkommen richtig ausgewählt: dort oben auf dem Dach war er vor den nachtaktiven Jägern einigermaßen sicher. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass seine „Frauen“ nichts davon erfahren; denn Hühner vom Dach pflücken – das muss wirklich nicht sein!
Text: Manfred Kotters
Bilder: Pixabay, Manfred Kotters